Abstract zu Die Dialektik der Souveränität.
Philosophische Untersuchungen zu Georges Bataille
Georges Bataille? Ein paraphiler Irrationalist, nicht wahr? Paraphil trifft vermutlich zu. Aber irrational? Nur insofern, als Bataille die Leiter der Vernunft wegwirft, nachdem er sie erklommen hat. Was die Philosophischen Untersuchungen zu Georges Bataille aufzeigen, ist, wie Bataille mit den Mitteln der Vernunft und der Un-Vernunft dialektisch daran arbeitet, jene in der Moderne zwischen Ich und Welt sich bildende Kluft zu schließen, die dadurch, daß sie das Ich von der Welt trennt, das Ich von sich selbst entfremdet.
Richtig ist: Auch in vormodernen Zeiten sah man eine Kluft zwischen der geistig-intelligiblen und der materiell-sinnlichen Welt. Doch betrachtete man diese Kluft (noch) nicht als absoluten Abgrund, da sie unterm Zeichen eines göttlichen Logos als überbrückbar erschien. In dem Augenblick jedoch, wo Nietzsches Wort Gott ist tot sich als wahr herausstellte, fielen beide Seiten, offenbar für immer, auseinander. Alle Spielarten des Weltschmerzes haben hier ihren Ursprung, desgleichen alle Manifestationen des modernen Relativismus und Perspektivismus.
Bataille versucht, diese Kluft zwischen Ich (Subjekt) und Nicht-Ich (Objekt) wieder zu schließen. Seine Methode ist die Transgression: die namentlich, doch nicht nur, erotische/sexuelle Grenzüberschreitung. Indem das Ich sich im Rausch verliert, sich in ihm und durch ihn zu sich selbst und zugleich zum Anderen findet, hebt es den Gegensatz von Ich und Nicht-Ich (temporär) auf. Im erotischen Taumel, in der Überschreitung geistiger und körperlicher Grenzen, findet das Ich eine Seins-Kontinuität, die es in der Welt der Begriffe und Diskurse nicht gibt, nicht geben kann.
Bataille weigert sich, sich der Vernunft zu verweigern. Nur sie kann der Leitfaden des Menschenmöglichen sein, nur sie führt uns über uns selbst hinaus. Für Bataille ist die Vernunft, ganz hegelianisch, das Vermögen, Gegensätze zu vermitteln und zu vereinen. Weil aber nicht nur das im herkömmlichen Sinn Vernünftige, sondern ebenso das Un-Vernünftige existiert (Exzeß, Gewalt, Lust, das Lachen usw.), darf die Vernunft diese Phänomene nicht ausklammern. Nur wenn die Vernunft auch das ganz Andere ihrer selbst anerkennt und einbezieht und auf diese Weise dialektisch über sich selbst hinausgelangt, entsteht echte Souveränität. Deren Existenzform ist die ekstatische Grenzüberschreitung: die innere Erfahrung (expérience intérieure).
Ist Bataille ein apolitischer Denker? Das Gegenteil trifft zu! Souverän zu sein bedeutet, die gesellschaftliche Entfremdung zu überwinden. Die intensive Kommunikation derer, die in der Grenzüberschreitung zueinanderfinden, gründet auf eine freie Assoziation freier Individuen. Nur dort, wo jeder nach seinen Fähigkeiten geben kann und jedem nach seinen Bedürfnissen gegeben wird, sind alle Voraussetzungen für Souveränität erfüllt.
Die Philosophischen Untersuchungen beanspruchen dreierlei: Sie wollen die philosophiehistorische Genese des Batailleschen Denkens offenlegen, Batailles Philosophie in deren Grundzügen darstellen und nicht zuletzt einige Mißverständnisse ausräumen, die einerseits Batailles vermeintlichen Anti-Intellektualismus und andrerseits seine politische Gesinnung betreffen.