Trumpitalismus

Trumpitalismus


TRUMPITALISMUS ― Zur Frage Warum Trump? (2021)


I think if this country gets any kinder or gentler, it’s literally going to cease to exist.

Donald Trump (1990)


I’m a leader. I’ve always been a leader. I’ve never had any problem leading people. If I say do it, they’re going to do it. That’s what leadership is all about.

DT (2016)


I could stand in the middle of 5th Avenue and shoot somebody and I wouldn’t lose voters.

DT (2016)


To be blunt, people would vote for me. They just would. Maybe because I’m so good-looking.

DT (1999)


I’m still, to this day, amazed he’s our president. I think about it sometimes, and I can’t believe it. Like I’ll see him on TV, and I just can’t believe he’s the president. I mean, one minute he’s on this thing – you know, You’re fired and all that stuff – and the next thing he’s, you know, we’re sending missiles over to Syria. And I just, I’m just, I’m wowed.

Unbekannter Trump-Wähler aus Wisconsin (2017)


Kim Jong-Un speaks and his people sit up at attention. I want my people to do the same.

DT (2018)


Nobody will care about my legacy if I lose. The only thing that matters is winning.

DT (2020)


In Friedrich Nietzsches Fröhlicher Wissenschaft (1882) lesen wir: „Das Beste an einem grossen Siege ist, dass er dem Sieger die Furcht vor einer Niederlage nimmt. Warum nicht auch einmal unterliegen? – sagt er sich: ich bin jetzt reich genug dazu.“ Donald Trump (DT) ist in zweifacher Hinsicht interessant: als Person und als Symptom. DTs größte, seine einzige Angst besteht darin, einmal zu unterliegen. So reich er an Geld und Einfluss ist, so sehr leidet er an der Furcht vor einer Niederlage. Als Person ist DT interessant für alle, die gern in Abgründe der menschlichen Psyche schauen. Als Symptom für alle, die es bemerkenswert und beunruhigend finden, dass 74 Millionen US-Amerikaner einer Figur anhängen, die sich jedem, der einigermaßen bei Verstand ist, als Fall für Psychologen, Psychiater und Gerichte präsentiert. Der Umstand, dass so viele US-Bürger DT und das, was er für sie darstellt, idealisieren, bedeutet erstens, dass die Ursache des Phänomens DT die Person(alie) überdauern wird, und also zweitens, dass der DT-Kult sich der Prävalenz eines bestimmten Sozialcharakters verdankt. DTs persönliche Neurosen ergänzen und widerspiegeln die Neurosen einer Gesellschaft, die besessen ist von Geld und Gewinnsucht: von einem Es-schaffen-Wollen, das jederzeit umschlagen kann in ein Es-schaffen-Müssen. DT ist der neurotische Leithammel einer neurotischen Gesellschaft, in der man nie reich genug ist, um auch einmal zu unterliegen. (Man unterlasse den albernen Einwurf, in den USA herrsche doch eine Kultur des Scheiterns, der zufolge jede Niederlage, weil sie zugleich eine neue Chance eröffne, etwas Gutes sei. In Wirklichkeit meint Kultur des Scheiterns entweder die namentlich von DT ausgeübte Kunst, sich an einer Pleite und auf Kosten anderer gesundzustoßen, oder die Panik des Es-schaffen-Müssens, deren realer Hintergrund die fehlende soziale Sicherheit des allgemeinen survival of the strongest ist.)


Dass Figuren zweifelhaften Charakters und psychologischen Zuschnitts bis an die Spitze von Institutionen, Unternehmen, Nationen gelangen, ist weder selten noch erstaunlich. Was den Fall DT so ungewöhnlich macht: The 45th ist seiner ganzen Persönlichkeit nach ungeeignet und unfähig, sich an den Maßgaben einer Strategie zu orientieren, die über den infantilen Wunsch, der Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit zu sein, hinausginge. Erfreulicherweise unterscheidet DT sich von Gestalten wie Berlusconi, Putin, Erdoğan, Orbán, Netanyahu, Modī usf. darin, dass er konstitutiv außerstande ist, politisch das zu verwirklichen, was sich in seinem kindlichen Gemüt festgesetzt hat. (Verhielte es sich anders, wäre der Putschversuch, dessen mögliche rechtliche Grundlagen und Optionen lange vorher ausgelotet worden waren, nicht versandet – zu DTs maßloser Enttäuschung. Es steht zu befürchten, dass Politiker, die DTs autoritär-faschistische Neigungen teilen, sich aber geschickter anstellen als Don the Con, (noch) erfolgreicher sein werden, die US-Oligarchie vollständig zu faschisieren.) Frappant ist – nachgerade absurd angesichts der zahllosen Fauxpas bereits während des Präsidentschaftsrennens –, dass DT es bis ins Amt geschafft hat. Eigentlicher Stein des Anstoßes ist daher nicht die Person DT. Die nun mal so ist, wie sie ist. Das Hauptproblem: 74 Millionen Menschen, die in einer Person wie DT einen ehrlichen Mann und einen potentiell guten Präsidenten erkennen. Ungewöhnlich ist nicht, dass sog. starke Männer Projektionsflächen für autoritäre und faschistische Fantasien sind. Was den Fall DT von anderen Erscheinungen autoritärer und faschistischer Mobilisierung unterscheidet, ist, dass hier jemand als Projektionsfläche fungiert, der sich dazu eigentlich nicht eignet. Im Wort eigentlich steckt die ganze Crux. Sarkastisch formuliert: Es darf einen nachdenklich stimmen, wenn die Erwartungshaltungen an einen autoritären Führer so weit gesunken sind, dass selbst ein vollendeter Idiot wie DT die Rolle eines politischen Heilsbringers ausfüllen kann.


Wie man hört, standen DTs Kindheit und Jugend im Zeichen einer dysfunktionalen Elternbeziehung. Mütterliche und väterliche Liebe und Zuneigung hat er nicht erhalten, früh stattdessen die Idee des survival of the strongest eingepflanzt bekommen. Zum einen der dauerhafte Entzug elterlicher Liebe und Zuneigung, zum anderen das Eingeschworenwerden aufs survivalistische Härteprinzip: Beides zusammen musste eine innere Leere hinterlassen, die durch nichts und niemanden gefüllt werden kann und ein pathologisches Bedürfnis nach Bewunderung erzeugt. Dass wir uns DT als einen der leersten Menschen vorstellen müssen, vermag nicht zu überraschen. (Nebenbei: Der Vorwurf, es sei unzulässig, eine Personen der Zeitgeschichte aus der Ferne gleichsam zu psychoanalysieren, ist zumal dann unangebracht, wenn das öffentliche bzw. der Öffentlichkeit bekannte Verhalten augenscheinlich alle Kriterien einer psychischen Störung erfüllt. Das Ziel ist ja nicht, eine offizielle klinische Diagnose zu formulieren, sondern besser zu verstehen, weshalb diese Figur so handelt, wie sie handelt.) Nun ist die toxische Mischung aus Empathielosigkeit und Performancewahn, der Entzug von Mitgefühl und die pathologische Fixierung auf self-interest, gleichzeitig das gesellschaftliche Hauptkennzeichen des Kapitalismus. DTs Charaktersystem entspricht passgenau dem Charakter des capitalistic way of life. DT ist ein Musterbeispiel des homo capitalisticus, und als ein solches idolisieren ihn seine Anhänger – die der Kapitalismus so deformiert hat, dass ihnen nurmehr die rückhaltlose Identifikation mit dem Aggressor bleibt, also die Flucht in den Autoritätshörigkeit, um nicht völlig verrückt zu werden. (Oder zeigt ihre Überidentifikation mit der durch DT verkörperten kapitalistischen Gewalt, dass sie bereits völlig verrückt geworden sind? Schwer zu sagen, denn in praxi macht es keinen Unterschied.) Verschärfend hinzu kommt das tief in die DNA der US-amerikanischen Gesellschaft eingeschriebene Merkmal, eine celebrity culture zu sein (die seit der Ankunft des Web 2.0 und der sog. Sozialen Medien ihren permanenten Triumph feiert). Es ist die Fetischisierung von star power, die als selbstverständlich vorausgesetzte Bedeutung von Prominenz als Gradmesser für Erfolg, Charisma, Macht, die es ermöglicht, dass ein menschliches black hole wie DT Präsident werden kann. Noch einmal: Entscheidend ist nicht, dass es ein massenhaftes Bedürfnis nach leading men gibt (sei es im Film oder auf der politischen Bühne) und dieses Bedürfnis sich als manipulierbar erweist. Worauf es ankommt, ist, dass der hundertjährige Einfluss einer unausgesetzt Berufsberühmtheiten produzierenden Vergnügungsindustrie die US-amerikanische Gesamtmentalität in einer Weise geprägt hat, die es Politikern verbietet, sich der Mittel der celebrity industry zu entschlagen. Und je anspruchsloser die Vergnügungs- und Unterhaltungsbedürfnisse der Menschen sind, je mehr es der Bewusstseinsindustrie gelingt, das emotionale und intellektuelle Niveau Zwölfjähriger als verbindlichen Maßstab zu etablieren, desto besser stehen die Chancen für snake oil salesmen, deren einzige Fähigkeit darin besteht, den allerkleinsten gemeinsamen Nenner zu treffen.


DT ist DER Nutznießer dieser Entwicklung. DT ist DIE Berufsberühmtheit schlechthin, hat es unter allen celebrities am weitesten gebracht. Aber eben nur, weil in Murica die Messlatte für Massenerfolg so niedrig hängt. Man könnte das für eine Demokratisierung halten. Hat der Plebs nicht das Recht, gehört und beteiligt zu werden? Im Grunde stellt diese Frage sich nicht. Sobald eine Gesellschaft, exemplarisch die US-amerikanische, celebrity culture zum Fetisch und Maßstab für alles und jeden erhebt, erreicht sie früher oder später den Punkt, an dem Personen mit der emotionalen und intellektuellen Reife von Zwölfjährigen das Ruder führen. DT als Symptom markiert den bisherigen Höhepunkt dieser Entwicklung. „As democracy is perfected“, schreibt Henry Louis Mencken 1920, „the office of president represents, more and more closely, the inner soul of the people. On some great and glorious day the plain folks of the land will reach their heart’s desire at last, and the White House will be adorned by a downright moron.“ So etwas wie DTs Präsidentschaft ergibt sich zwangsläufig, wenn „the inner soul of the people“ nach einer hundertjährigen Diät aus falschen Versprechungen, Anti-Intellektualismus, Bigotterie, Konsumismus, Eskapismus und Entertainment auf den Zustand eines Kindes regrediert ist und die Bewusstseinsindustrie diesem Kind weiterhin gewährt, wonach auch immer es verlangt. 1926 ergänzt Mencken: „No one in this world has ever lost money by underestimating the intelligence of the great masses of the plain people. Nor has anyone ever lost public office thereby.“ Jede Gesellschaft bringt die Idioten hervor, die sie verdient. Solange das mediale und politische Geschäftsmodell, dem allerkleinsten gemeinsamen Nenner zu huldigen, Gewinn verspricht, wird sich daran nicht nur nichts ändern. Es wird sich so lange verschärfen, bis die emotional und intellektuell unreifen „masses of the plain people“ ihren Willen den bei Verstand Gebliebenen aufzwingen können. Shit storms, cancel culture feuds, culture war attitudes sind Attribute einer Gesellschaft, in der die Wette auf die Dummheit der Massen das sicherste Geschäft der Welt ist. 


Auf dem Hintergrund des celebrity-political complex ereignet sich zweierlei. Er erlaubt dem narzisstischen homo capitalisticus americanus, dessen Hauptgefühle innere Leere und der Wunsch nach Erfolg und Bewunderung sind, die Admiration der Massen zu suchen und zu finden. Es geschafft haben bedeutet die Admiration der Massen auf sich ziehen. Und umgekehrt: Die Massen suchen und finden den vermeintlich oder tatsächlich Erfolgreichen als Projektionsfigur, die das verkörpert, wonach sie selbst (vergeblich) streben: Anerkennung, Prestige. Der nach US-amerikanischen Maßstäben erfolgreiche, doch innerlich leere DT sucht den Beifall der Massen, um jene Genugtuung zu finden, die dem Heranwachsenden verweigert worden war. Und vice versa: Die entfremdeten Massen suchen und finden DT, um mit ihm und durch ihn die eigene (eingebildete oder reale) Wehr- und Wertlosigkeit, Erfolglosigkeit und Zurücksetzung scheinbar zu überwinden. Obschon DT die masses of the plain people verachtet, lechzt er nach ihrer Akklamation, um sein gestörtes Selbstwertgefühl zu kompensieren. Obschon DTs talmihafte New York- und Mar-a-Lago-Persona und der Puritanismus der heartland voters einander diametral entgegengesetzt sind, idealisieren letztere DT weit über dessen bescheidene Fähigkeiten hinaus. Diese narzisstische Dialektik von Bewunderungsanspruch und Bewunderungssehnsucht ist umso gefährlicher, weil gegenseitig sich verstärkend, je zahlreicher und wirkungsvoller die Möglichkeiten medialer Inszenierung sind. Je mehr mediale Aufmerksamkeit DT erhält, desto geltungssüchtiger wird er, und desto mehr wächst der Glaube seiner Anhänger, in ihm einen Führer und heilandgleichen Befreier gefunden zu haben. Ein circulus vitiosus also – zwischen DTs attention-seeking grandiosity und seinen zu Projektionen nur allzu bereiten Jüngern und Jüngerinnen. Indem sie ihre ganze Gefühlswelt auf DT projizieren (d. h.: in die Autoritätshörigkeit flüchten), immunisieren sie sich und einander gegen den Verlust ihres Identitätsgefühls – das unter neoliberalen Auspizien stets zu implodieren droht. Sie wollen von einer Person wie DT beherrscht werden, weil die scheinbar über die Macht verfügt, ihnen ihre als bedroht imaginierte Freiheit und Würde zurückzugeben. Für sie ist DT ein Mann der Taten, auserwählt, im Kampf gegen wokeness und liberal globalists die USA und das Leben der decent, hard working people wieder großartig zu machen. Die Gefolgschaft, die sie dem greatest POTUS ever schwören, schützt als libidinöse Identifizierung mit dem Führer ihr prekäres Selbst, während dieser sie darin bestärkt, ihre Ängste und Aggressionen weiterhin und noch entschlossener auf scheinbare innere und äußere Feinde zu projizieren (radical demococrats, communists, atheists, feminists, persons of color, multiculturalists, LGBT activists, muslims, immigrants usw.). So wie DT seine narzisstischen Bedürfnisse an seinen Anhängern auslebt, agieren diese ihre narzisstischen Tendenzen aus, indem sie sich mit ihm identifizieren. Freilich erhält der sowohl libidinöse als auch aggressive Charakter dieser doppelten Projektion eine komisch-groteske Dimension angesichts der Tatsache, dass die Bewusstseinsindustrie 74 Millionen Köpfe bis an einen Punkt heruntergebracht hat, an dem ihnen The Donald als Ideal vorschwebt. Um Missverständnisse zu verhüten: Die freiwillige Hingabe von Millionen an einen Führer wäre nicht weniger bedenklich, wenn der irgendwelchen Mindeststandards entspräche. Die affektive Bindung an einen Leithammel, dessen infantile Idealisierung, ist immer pathologisch. Die Sache ist die: Wenn in einer technologisch so leistungsfähigen Gesellschaft wie der US-amerikanischen 130 Millionen Menschen Schwierigkeiten mit dem Lesen und/oder Schreiben haben, der tägliche Fernsehkonsum über 4 Stunden, die tägliche Handynutzung über 5 Stunden beträgt und die Unterhaltungs- und Informationsindustrie zu den größten ökonomischen Sektoren gehört, religiöser Aberglaube die Hälfte der Menschen infiziert, vier Fünftel political correctness verabscheuen und beinahe ein Drittel der Bevölkerung an psychischen Erkrankungen leidet – dann ist klar, dass die Tragödie des Autoritarismus bloß noch die Form einer drittklassigen Farce annehmen kann (was es nicht besser macht). 


In dem Maße, wie im kapitalistischen System der Wert einer Person von deren roher Durchsetzungsfähigkeit abhängt, produziert es innerlich leere, von sich selbst und von ihren Mitmenschen entfremdete Paranoiker. Entfremdet von sich selbst: weil der Mensch, als
animal sociale, konstitutiv auf seine Mitmenschen angewiesen ist, als homo capitalisticus diese Wahrheit jedoch verdrängt bzw. zu verdrängen lernt (daher seine innere Leere). Von seinen Mitmenschen: weil er sie allein als Konkurrenten, Feinde, Rivalen, bestenfalls als (temporäre) Vertragspartner wahrnimmt. Der homo capitalisticus paranoicus wittert überall Parasiten, die sich auf seine Kosten zu mästen suchen (was, da in Wirklichkeit er der Parasit ist, als Projektion verstanden werden kann). Und wenn es zutrifft, dass jeder Einzelne doch seines Glückes Schmied ist? Ist es dann nicht recht & billig, jeden Versuch, den pursuit of happiness zu behindern, als Kriegserklärung im bellum omnium contra omnes zu verstehen (sei es ein war for personal profit oder ein culture war)? Der ressentimentgeladene Ton, mit dem DT und die Trumpitalisten ihren Klagen und Anklagen Luft machen, offenbart verletzte Narzissten, die mögliche oder tatsächliche Kritik als existentielle Bedrohung erleben und mit Angriffen auf jene Person/en beantworten, von der/denen sie sich attackiert und bedroht fühlen. Was alle Trumpitalisten eint: Sie fetischisieren Freiheit. Solange sie, wie sich versteht, von IHRER Freiheit sprechen. Wenn es darum zu tun ist, ihren Willen anderen zu diktieren, haben sie selbstverständlich keine Bedenken, Freiheit zu kassieren.


So einig Trumpitalisten in ihrer Gegnerschaft zu allen Formen des gesellschaftlichen Fortschritts sind, so sehr unterscheiden sie sich voneinander durch ihren ökonomischen Status. Der Gründe, warum Menschen DT wählen und unterstützen, sind mehrere. Aber allgemein gesprochen gibt es zwei Gruppen von Trumpitalisten. Die kleinere Gruppe besteht aus real Erfolgreichen – erfolgreich im US-amerikanischen Sinne –, die DT als ihresgleichen anerkennen und/oder ihn deswegen unterstützen, weil er, ungeachtet seiner populistischen Faxen, als POTUS die ökonomische Umverteilung von unten nach oben fortsetzt und verschärft. Die zweite, ungleich größere Gruppe besteht aus denjenigen, die sich zurückgesetzt und allein gelassen fühlen und hoffen, dass DT ihnen jene Privilegien zurückbringt, die sie verloren zu haben glauben. Beide Gruppen vereint ihre Anspruchshaltung. Die Trumpitalisten on the top sehen in DT den Garanten dafür, dass der Klassenkampf von oben, die ökonomische Umverteilung von unten nach oben, nicht zum Erliegen kommt. Die Trumpitalisten, die sich (nicht immer ohne Grund) zurückgesetzt und allein gelassen fühlen, sind überzeugt davon, dass DT sie in eine glorreiche(re) Zukunft führt, die eine idealisierte Vergangenheit wiederbeleben werde. Beide Gruppen verbindet die Überzeugung, es mit inneren und äußeren Feinden zu tun zu haben. DTs pathologische Angst, von allen und jedem bedroht zu sein, widerspiegelt zum einen die latente Befürchtung der Wohlhabenden bis Ultrareichen, eines Tages zur Rechenschaft gezogen zu werden (und sei es nur in Form von Steuergerechtigkeit), zum anderen die Vorahnung der deplorables, auf dem Müllhaufen der Geschichte zu landen (die ultimative narzisstische Niederlage).


Dass gegenwärtig die meisten Menschen sich eher das Ende der Welt als das Ende des Kapitalismus vorstellen können – was ihre ohnehin schon narzisstisch-paranoide Geistesverfassung noch verstärkt –, ist zugleich leicht und schwer zu begreifen. Mit ihrer groß angelegten Verblödungsstrategie (seit den 1980er-Jahre auch bekannt als Titty- und Infotainment) konnte die kapitalistische Bewusstseinsindustrie alles in einen Karneval, in ein einziges Spektakel verwandeln. Viele wollen DT deswegen zurückhaben, weil sie ihn unterhaltsamer finden als Joseph Biden. Das Kernproblem besteht darin, dass der Kapitalismus jene Krankheit ist, für deren Therapie er sich hält. Indem der Kapitalismus die Leute die meiste Zeit darauf reduziert, austauschbare Träger der Ware Arbeitskraft zu sein, infiziert er sie mit einem Gefühl der Ohnmacht und Abhängigkeit, was andrerseits dazu führt, dass sie von der geheuchelten Aufmerksamkeit, die ihnen in ihrer zweiten Rolle als Konsumenten zuteil wird, nicht genug bekommen können. Allein, sie wissen oder ahnen, dass diese Aufmerksamkeit nicht ihnen selbst gilt, sondern ihrem Geld, und sie wissen oder ahnen des Weiteren, dass das ganze Zeug, das haben zu wollen sie sich einreden lassen, das Gefühl der Leere und Einsamkeit, das der Kapitalismus in ihnen hervorruft, nicht verschwinden machen kann. Die kapitalistische Wunschmaschine im Allgemeinen und speziell die von der Bewusstseinsindustrie betriebene Ökonomie der Aufmerksamkeit dürfen, um den konsumistischen Kreislauf aufrechtzuerhalten, nie erfüllen, was sie versprechen. Die geheuchelte Aufmerksamkeit, die der snake oil salesman DT seinen Anhängern, die ihm als Menschen vollkommen gleichgültig sind, entgegenbringt, erfüllt sie mit Stolz – einem Gefühl, das immer zerbrechlich bleiben muss, weil die innere Leere des homo capitalisticus, die der pride of being an American vorübergehend kompensiert, weiterbesteht. (So wie umgekehrt die uneingeschränkte Zuneigung seiner Jünger und Jüngerinnen nicht DTs Bedürfnis nach Admiration und Bestätigung dauerhaft zu stillen vermag.) Was ihnen bleibt, solange sie Teil dieser narzisstischen Fiktion sind, ist, die ewige kapitalistische Enttäuschung entweder dadurch zu verdrängen, dass sie sie, einer unbewussten Paradoxie folgend, konsumistisch zu überwinden suchen, oder dadurch, dass sie sie auf Sündenböcke projizieren.


Die besonders dem US-amerikanischen Kapitalismus eigentümliche psychosoziale Matrix – deren Elemente Manipulation, Sinnleere, konsumistische Heilserwartung, Privation und Megalomanie sind – macht es buchstäblich hohlen Scheinriesen wie DT leicht, sich als Projektionsfläche für kollektive Neurosen ins Spiel zu bringen. Freilich: So sicher es ist, dass der Kapitalismus alles in Gold zu verwandeln vermag, so sicher ist es, dass er, um weiterzubestehen, vorsätzlich und zum Zwecke ihrer wenn nötig auch gewaltsamen Ausbeutung falsche Hoffnungen schüren muss. Das ist sein Geschäftsmodell, seine unique selling proposition. „Late capitalism is a pyramid racket on a global scale, the kind of pyramid you do human sacrifices up on top of, meantime getting the suckers to believe it’s all gonna go on forever.“ (Thomas Pynchon: Bleeding Edge, New York 2013, S. 163) Wem die Lügen dieses Systems bzw. diese Systemzwänge als Lüge in Fleisch und Blut stecken, will eher DT als Präsidenten und das Ende der Welt als gesellschaftlichen Fortschritt und das Ende des Kapitalismus.



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