Dass in öffentlich-rechtlichen Funkhäusern die Verabsolutierung der Quote mit einer Abwertung des Bildungs- und Kulturauftrags einhergeht, ist nichts Neues. Klar auch, dass Institutionen Eigendynamiken entwickeln, deren treibende Kräfte eher systemischer als persönlicher Art sind. Die Zwänge einer Institution sind i. d. R. größer als die Handlungsspielräume derer, die in ihr wirken. Des Weiteren gilt, dass diese Eigendynamiken zu einer gesamtgesellschaftlichen Dynamik gehören. In einer Gesellschaft, deren Fetisch Profitabilität ist, geraten auch Anstalten des öffentlichen Rechts in Situationen, wo nur noch das Überleben zählt. Dennoch macht es einen Unterschied, wer innerhalb dieser Institutionen das Sagen hat und darüber (mit)entscheidet, wie und in welchem Maße die institutionelle Binnendynamik der gesamtgesellschaftlichen Dynamik gehorchen sollte. Die Kapitulation der Öffentlich-Rechtlichen vor einer wildgewordenen Markt-Logik ist so beschämend, weil die Entscheider/innen in den Sendern der gnadenlosen Kommerzialisierung nicht nur nicht entgegentreten, sondern sie selbst wollen und forcieren. Die Chuzpe, mit der sie sich freiwillig dem Gesetz des kleinsten gemeinsamen Nenners verpflichten, ist Ausdruck ihrer Genugtuung, endlich mit allem Schluss zu machen, was ihnen zuwider schon immer war.
Nachdem WDR-Premiumdenker Thomas Buhrow in einer stilistisch kümmerlichen Rede mitgeteilt hat, was ihm durch den Kopf rauscht, weiß man, dass er just das, was nicht verhandelbar sein sollte, weil es die Welt zu einem besseren Ort macht, als Bürde empfindet. Für den Intendanten des größten deutschen Senders bilden weder Sport-Budgets (ZDF: jährlich 200 Millionen Euro, ARD: jährlich 230 Millionen Euro) noch zahllose immergleiche Serien ein Hauptproblem (allein die Produktion der Tatort-Folgen schlägt mit über 60 Millionen pro Jahr zu Buche). Kostenintensives Dauerentertainment? Anscheinend voll OK. Obsolet vielmehr: die 24 Musikensembles der ARD (jährlich 170 Millionen Euro). Die freilich, anders als TV-Unterhaltung made in Dschörmenie, zur Weltspitze zählen. Um Qualität geht es also nicht. Was Buhrow und seine Brüder und Schwestern im Geiste antreibt – einschließlich der Forderung, nur ein einziges, deutschlandweites Kultur-Programm beizubehalten –, ist mitnichten der Wunsch, mit den vorhandenen Mitteln das bestmögliche Angebot zu gewährleisten. Ihr Ziel ist, im Namen eines Rundfunks, „der im 21. Jahrhundert angekommen ist“, endgültig das loszuwerden, was ihnen ohnehin als suspekt galt und nun unter dem Vorwand der Kosteneinsparung geopfert werden kann. (Dass Buhrow dem Chefdirigenten des WDR Sinfonieorchesters de facto ein Gespräch verweigerte, ist nur konsequent.)
Im Sport- & Unterhaltungssegment kürzen? Undenkbar! Buhrow und seinesgleichen empfehlen, den Rotstift dort anzusetzen, wo noch, wenn auch bereits sehr eingeschränkt, Qualität herrscht und man noch, wenn auch im Rückzugsgefecht, die öffentlich-rechtliche Bildungs- und Kulturaufgabe erfüllt. Was soll man davon halten, wenn Buhrow meint, die ARD-Anstalten böten zu viel Kultur? Läge ihm ihr Bildungs- und Kulturmandat irgend am Herzen, täte er privat und als Intendant alles dafür, es zu schützen. Stattdessen befolgt er die Maxime, dass am Ende nur das zähle, was sich ökonomisch lohne. Eine Anpassungsleistung, die ihm, weil sie mit seiner persönlichen Überzeugung konform geht, leicht fällt. Eine Anpassungsleistung, die allerdings hinausweist über Einzelpersonen, weil es DAS Merkmal des homo neoliberalis ist, ALLES dem ökonomischen Kalkül zu unterwerfen.
Den Gründern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wäre es nicht in den Sinn gekommen, dass der Umstand, haushalten zu müssen, eine Rechtfertigung dafür sein könne, die eigene Existenzberechtigung zu kassieren. Ihre im positiven Sinne bildungsbürgerliche Grundeinstellung wird zuschanden an einer Gegenwart, in der man meint, dass Kunst- und Kulturkram immer als Erstes dran glauben sollte. Das frühere Ziel, Bildung & Kultur zu fördern, entschuldigt Buhrow damit, dass der „kulturelle Bereich insgesamt gestützt werden [musste], weil er [nach dem Krieg] am Boden lag.“ Ob das so stimmt, können wir hier offenlassen. Nicht zu bestreiten ist hingegen, dass er HEUTE am Boden liegt und also erneut jede Anstrengung unternommen werden müsste, ihn zu stützen. Die öffentlich-rechtlichen „Veränderungen, die wir in einem Jahrzehnt sehen wollen“, laufen darauf hinaus, dass der neoliberale Anti-Intellektualismus, der nur allzu gut mit der allgemeinen Kulturferne der an den Schaltstellen der Macht sitzenden Baby-Boomern harmoniert, auch noch die letzten Kultur-Reste entsorgen wird. (Man erspare sich den Hinweis auf z. B. ARTE u. Ä., denn das wäre kein Gegenbeispiel, sondern eine Bestätigung.)
Im Grunde ist es ganz einfach. Der Mensch bringt unentwegt Dinge hervor. Jene Dinge, deren Zweck eigentlich darauf hinausläuft, das Leben voller und reicher zu machen – Spiel, Kunst, Musik usw. – regredieren in einer Gesellschaft, deren Fetisch Profitabilität ist, auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Je unerbittlicher die Maßgabe, sich an ihm zu orientieren, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass das Leben freier und schöner wird. Es wird um so fader und unzivilisierter, je kategorischer der ökonomische Totalitarismus auftritt. Je mehr eine Gesellschaft dem Verwertungswahn widersteht, je resoluter sie den Zumutungen der Markt- und Waren-Logik sich verweigert, desto zivilisierter ist sie. Ob es ihnen bewusst oder nicht: Die Buhrows dieser Welt verkörpern und verstärken ein anti-zivilisatorisches Ressentiment, das sie mit allen wichtigeren Kulturangelegenheiten verfeindet. Niemand zwingt sie, als Vollstrecker neoliberaler Ideen aufzutreten. Sie sind Überzeugungstäter, und ihre Mission besteht darin, die Medien-Realität in ein permanentes Spektakel zu verwandeln, das jeden Widerstand gegen die Waren-Werdung der Welt sinnlos erscheinen lässt.