Nicht erst seit COVID haben es freischaffende Musiker aller Genres und Couleurs mit Bedingungen zu tun, die kaum mehr sichere Existenzen ermöglichen. Das hat Gründe, die hier nicht weiter interessieren sollen. Nur so viel: Im capitalist realism verlieren die Leute, ob sie wollen oder nicht, jeden Sinn für Nuancen und Details. Musik zu lieben heißt aber, Nuancen und Details zu lieben. Je abgestumpfter der allgemeine Sinn für Nuancen und Details, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass Musik aufs Neue die Bedeutung erlangt, die sie noch, im Großen & Ganzen, bis zum Beginn der Download- und Streaming-Ära gehabt hatte.
Wohin führt das? In Verhältnisse, in denen Musik, ökonomisch und kulturell, immer weniger zählt. (Spotify lässt pro Klick 0,3 Cent springen; auch Tourneen sind nicht länger einträglich.) Wenn, wovon auszugehen ist, diese Entwicklung anhält, werden Musiker sich in einer Lage wiederfinden, die dem entspricht, was bis weit in die Neuzeit hinein galt: Sie werden erneut einen einheitlichen gesellschaftlichen Stand bilden, dessen Hauptkennzeichen Armut ist, vielleicht erneut buchstäblich auf der Straße arbeiten, um dort ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Musiker als verdächtige, weil am gesellschaftlichen Rand existierende Gestalten. Eine umso absurdere Situation, als das heutige Niveau musikalischer Fähigkeiten Lichtjahre von dem früherer Musiker-Generationen entfernt ist. (Ohnehin passé: Zeiten, in denen es sich ökonomisch und sozial auszahlte, etwas zu können.)
Mitunter bringen, wider alle Absicht, kleine Vignetten den (Un)Geist einer Zeit besser auf den Punkt als weitschweifige Untersuchungen. Einen Blick in die wahrscheinliche Zukunft der Musik bietet, wider alle Absicht, das 1991 entstandene Video zu Mark O’ Connors Instrumental Bowtie. O’ Connor und seine als hoboes kostümierten Mitmusiker, The New Nashville Cats, lassen in einer nächtlichen back alley die Puppen tanzen. Zum Missvergnügen der Anwohner – die, weit entfernt, sich für die brillante Gratismusik empfänglich zu zeigen, die cops rufen. Wär ja nen Unding, wenn heruntergekommene Weltklasse-Musiker aus Jux & Dollerei in einem Hinterhof ihr Talent demonstrierten. Sie werden, wie’s sich gehört, hopsgenommen und polizeidienstlich erfasst.
Was im
Bowtie-Video Stoff einer amüsanten Episode ist, dürfte bald traurige Realität sein: dass nämlich Musiker aller Genres und Couleurs – und seien sie noch so gut – ihr Publikum verlieren, ihre Auftrittsmöglichkeiten, ihre ökonomischen und sozialen Ressourcen, zuletzt auch noch die Hoffnung, in ihrer Gesellschaft, der jeder Sinn für Gutgemachtes abhanden gekommen ist, weiterhin irgendeinen Platz zu haben.