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Little Feat


Hatte die bleierne COVID-Zeit positive Seiten? Vielleicht erlaubte sie im idealen Fall, den Stand der Dinge zu überdenken und ggf. zu ändern. Welche Gründe auch immer dafür verantwortlich gewesen waren, dass Little Feat, die quintessenzielle US-amerikanische Rock-Band der 70er-Jahre (Wikipedia, offizielle Webseite), den Lockdown in erneuerter Besetzung hinter sich lässt: Es ist sehr willkommen und in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich.


Rockmusik ist eine vergleichsweise junge Kunstform. Nicht wenige derer, die, sagen wir von 1962 bis 1979, ihren Kurs prägten, sind noch aktiv. Sie sehen sich mit zwei Schwierigkeiten konfrontiert. Die erste Herausforderung: Altern in Würde. Wenn Bands und ihre Anhänger parallel in die Jahre kommen, aber den Glanz und die Herrlichkeit ihrer Sturm-und-Drang-Zeit zu konservieren suchen, droht die Farce. Des Weiteren ist ein Hauptmerkmal von Rockmusik ihre rhythmische Kraft: eine musikalische Muskularität, der gerecht zu werden nur gelingt, solange man, physisch und mental, über genügend Stamina verfügt. Kraft, Ausdauer, Koordinations- und Konzentrationsfähigkeit nehmen mit den Jahren ebenso ab wie Verve, Schneid, Ehrgeiz. I. d. R. verlieren Rock-Bands irgendwann ihren Biss – häufig beschleunigt durch selbstauferlegte Strapazen einer vie de débauche.


Die zweite Herausforderung: Bewahrung des einmal Erreichten. (Gar nicht zu reden von der Fähigkeit und dem Willen, das Niveau weiter zu erhöhen.) Späte Meisterwerke – oder auch nur späte große Werke – sind in der Rockmusik selten. Was, wie gesagt, damit zu tun haben könnte, dass man in jungen und jüngeren Jahren enthusiastischer, ambitionierter ist, zudem geneigter, der Schaffenskraft mit Hilfe von Stimulanzien auf die Sprünge zu helfen. Doch es gibt kein Gesetz, das Rock-Bands, die sich im Herbst oder Winter ihrer Karriere befinden, zwingen würde, phlegmatisch zu werden, belanglose oder schlechte Musik zu machen. Es mag zu verlockend erscheinen, sich auf seine Lorbeeren zurückzuziehen. Jedenfalls ist die Fallhöhe zwischen Vergangenheit und Gegenwart umso größer, je exzeptioneller frühere Leistungen ausfielen. Wenig steht für Durchschnittskapellen auf dem Spiel. Desaströs wird es – nachgerade körperlich schmerzhaft für den kritischen Fan –, wenn Bands ihrer Ehrenplätze auf dem musikalischen Olymp verlustig gehen, weil sie der Aufgabe, dem von ihnen selbst gesetzten künstlerischen Standard zu entsprechen, nicht mehr gewachsen sind. Früher oder später sind Rock-Bands sowohl von der Scylla des clichéhaften Keep on rocking! wie von der Charybdis musikalischer Impotenz bedroht. (Oder um die Worte der freilich schon immer Olymp-fernen Puhdys zu zitieren: „Und sind wir auch mal alt wie ein Baum / Wir geben nicht auf den Rock ’n’ Roll-Traum. / Das haben wir uns als Kind schon geschworn. / Wir sind zum Rock ’n’ Roll geborn. // Es ist keine Ente / Wir spielen bis zur Rockerrente.“)


Zwischen Watergate und Greensboro war Little Feat DIE US-amerikanische Rock-Band. Keine andere amalgamierte vergleichbar souverän traditionelle Genres – musiktopographisch am imaginären Kreuzungspunkt von Los Angeles, Austin, Memphis, New Orleans, Chicago. Keine Rock-Band fusionierte Rock ’n’ Roll, Blues, Rhythm ’n’ Blues, Country, Jazz, Southern Funk mit mehr Elan als Little Feat zwischen 1973 und 1979. Zu meinen, bereits das 1987 nach neunjähriger Pause mit Craig Fuller als neuem Hauptsänger und zusätzlichem Songwriter wiederbelebte Ensemble sei der von Little Feat-Gründer Lowell George angeführten Band unterlegen gewesen, träfe allerdings nicht zu. Richtig ist: Der Kurs änderte sich ein wenig; man orientierte sich stärker an Song-Konventionen. Die rhythmische Tiefenstaffelung aber hatte ebenso wie die spieltechnische Brillanz, jedenfalls auf den drei Studioalben von 1988, 1990 und 1991, eher noch zugenommen. Fatal dann, Fuller (1993 freiwillig ausgeschieden) durch eine Sängerin zu ersetzen. Die Idee als solche war nicht dumm. Georges Melismen sind oft so volatil, dass es auf der Hand lag, einige dieser Gesangsparts einer beweglicheren weiblichen Stimme anzuvertrauen. Auch versprach auf diese Weise der Gesamtklang neue Facetten zu erhalten. Bis dahin hatte man diese Möglichkeit in Gestalt illustrer Hintergrundsängerinnen genutzt (Bonnie BramlettGloria Jones, Bonnie Raitt, Linda Ronstedt, Emmylou Harris, Rosemary Butler, Nicolette Larson, Valerie Carter, Marilyn Martin, Renée Armand). Warum man sich für die Besitzerin eines derart outrierten Organs entschied – stilistisch immer an der Grenze zur Parodie –, wird ein ewiges Rätsel bleiben. Als Antidoton gegen die oben skizzierten Gefahren war diese Personalie ungeeignet.


Ab 1993 ging alles, vom Songwriting bis zur instrumentalen Ausführung, den Bach runter. Der leider nicht Lethe hieß. Zu diesem Zeitpunkt schon aus dem Olymp verstoßen, gelangte man 2009 mit der Ernennung eines Dilettanten zum Schlagzeuger ohne weitere Umwege in den Orkus. Richard Hayward († 2010) war ja nicht irgendwer. Dass die Band während ihrer Hochzeit durch fulminante Synkopizität und einen inkommensurablen Drive bestechen konnte, verdankte sie zuvörderst ihrem ebenso originellen wie virtuosen Drummer. Bestellt man Böcke zu Gärtnern? Indem sie einen technischen Assistenten Haywards zu dessen Nachfolger machte, tat die Band genau das. Gab es je einen größeren Rock-Bankrott? Was sie zuletzt bot – wieder ohne Sängerin, mit einem kränklichen Paul Barrère und einem noch labileren Schlagzeuger –, war, verglichen mit den musikalischen Heldentaten, die man einst vollbracht hatte, eine Travestie.


Menschen lieben happy endings – umso mehr, je seltener sie sich in real life ereignen. Wenige Bands finden, nachdem sie einmal ihr Proprium verloren haben, einen Weg zurück. Dass Little Feat im letzten Moment die sprichwörtliche Kurve bekommt und sich mit zwei neuen Mitgliedern so revitalisiert, dass die Erinnerung an eine gloriose Vergangenheit nicht länger an einer trostlosen Gegenwart zuschanden wird, war nicht voraussehbar. Scott Sharrard ist nicht nur ein flinkerer Gitarrist als P. Barrère, sondern auch der bessere Sänger. Tony Leone (Wikipedia, offizielle Webseite) mag – anders als Richie Hayward – kein Schlagzeuger sui generis sein. Seinen Aufgaben wird er allemal gerecht. (Eine Vermutung: Sharrard erklärte sich nur unter der Bedingung bereit, Little Feat zu verstärken, dass man gleichzeitig einen fähigen Drummer engagiert.) Ob geplant ist, frisches Material aufzunehmen, wissen wir nicht. Es spricht für das sanierte Ensemble, dass man sich eine neue Little Feat-Platte vorstellen kann, ohne Schlimmes zu befürchten.


Lowell Georges Schatten schwebt immer noch über der Gruppe. Er schwebt über ihr seit ihrer Re-Union 1987. Ihm zu entkommen, gelang mal besser (1988–1993, 2021–?), mal schlechter (1993–2019). Ist es noch möglich, ihn vollständig zu vertreiben? Sicher nicht. Ist es noch möglich, die über 50jährige Band-Karriere in einen versöhnlichen Schlussakkord ausklingen zu lassen? Unbedingt.


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Nachbemerkung 2024:


Man muss sich, was Little Feats legacy angeht, weiter in Geduld fassen. Eine neue Platte ist inzwischen erschienen. Frisches Material? Keine Spur. Angejahrte Blues-Nummern, Coverversionen mithin. Okayig hinmusiziert. Nicht mehr, nicht weniger. Bzw. doch eher weniger. Warum sind betagte Rockmusiker selten fähig und/oder bereit, sich auf alte Tugenden zu besinnen? Das kann nicht nur mit einem Nachlassen körperlicher Leistungsfähigkeit zu tun haben. Vermutlich verdankt es sich einer Mischung aus Bequemlichkeit, Unlust, Desinteresse, Resignation. Wer meint, frühere Leistungen nicht mehr erreichen zu können, versucht’s erst gar nicht.

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